Mesmerismus: Verrückte Idee, Betrug oder Ursprung der Hypnosetherapie? (2024)

Gekleidet in ein lavendelfarbenes Seidengewand und mit goldenen Hausschuhen an den Füßen, bewegte sich der deutsche Mediziner Franz Anton Mesmer langsam, einen Metallstab schwingend, durch den spärlich beleuchteten Salon. In der Mitte des Raums stand ein Baquet – ein großer Eichenzuber, gefüllt mit magnetisiertem Wasser –, um den sich Mesmers Patienten scharten, um die von dem Behälter abstehenden Metallstangen gegen die Stellen an ihrem Körper zu pressen, die ihnen Beschwerden machten. Zu den überirdischen Klängen einer Glasharmonika waberten Weihrauchschwaden durch die Luft. Mit einem Wink seines Stabs oder einer Bewegung seiner Hand konnte Franz Anton Mesmer seine Patienten in eine Trance versetzen – eine sogenannte heilsame und reinigende Krise – die sich durch starke Zuckungen, Lachanfälle oder gellende Schreie äußerte.

Dieser Holzschnitt aus dem 18. Jahrhundert zeigt den deutschen Mediziner und Entdecker des Mesmerismus Franz Anton Mesmer.

Foto von Alamy, ACI

Animalischer Magnetismus

Franz Anton Mesmer praktizierte seine unorthodoxe Behandlungsmethode, seit dem Jahr 1774. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der in Wien ansässige Arzt zwei Jahre lang versucht, seine damalige Patientin, die 29-jährige Franziska Österlin, mit den konventionellen Ansätzen seiner Zeit zu heilen. Doch weder Schröpfen noch Aderlass konnten etwas gegen ihre Beschwerden ausrichten, die von Ohrenschmerzen bis hin zur Melancholie eine große Bandbreite abdeckten. Der Empfehlung des Jesuitenpaters und Astronomen Maximilian Hell folgend, legte er seiner Patientin schließlich Magneten auf und erklärte diese Behandlung für erfolgreich und Österlin für genesen.

In seiner Doktorarbeit hatte Mesmer die These verfolgt, dass die Gravitationskräfte von Sonne, Mond und Planeten auf den menschlichen Körper einen merklichen Effekt hätten. Diese Theorie der „Animalischen Gravitation” überarbeitete er nach seiner Erfahrung mit den Magneten von Maximilian Hell, und entwickelte so die Theorie des „Animalischen Magnetismus“. Deren Grundidee war, dass die universelle Kraft nicht äußerer, sondern innerer Natur sei: Ein unsichtbares Prinzip, das Franz Anton Mesmer auch als Fludium, All-Flut und Lebensfeuer bezeichnete und das seiner Überzeugung nach in allen lebenden Körpern zirkulierte. Alle Krankheiten konnten ihm zufolge auf eine Stockung der Flüssigkeit zurückgeführt werden. Um die Blockade zu lösen und die Erkrankung zu heilen, war laut Mesmer der Kontakt mit einem geeigneten animalisch-magnetischem Leiter nötig. Da er selbst – oder jedes Objekt, das er magnetisiert hatte – in der Lage dazu sei, die Zirkulation wieder in Gang zu bringen, seien die Magnete von Maximilian Hell überflüssig.

BELIEBT

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    Dr. Franz Anton Mesmers Abhandlung über „Die Entdeckung des Animalischen Magnetismus“ aus dem Jahr 1779.

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    Im Jahr 1775 teilte Franz Anton Mesmer seine Entdeckung des Animalischen Magnetismus mit anderen Medizinern und wissenschaftlichen Akademien und bat sie um ihre Einschätzung. Er erhielt nur eine Antwort, die äußerst abfällig ausfiel. Mesmer nahm sich daraufhin vor, seine Methode am Beispiel von Franziska Österlin dem Arzt Jan Ingenhousz zu demonstrieren. Vor der Präsentation hatte Ingenhousz ohne Mesmers Wissen Magnete in dem Raum versteckt. Als die Patientin während der Behandlung nur auf Objekte reagierte, die sie für Magnete hielt oder die in einem Zusammenhang mit Mesmer standen, war für Ingenhousz klar, dass es sich bei diesem um einen Betrüger handeln musste – und er verbreitete diese Einschätzung in allen Kreisen Wiens.

    Um seinen Ruf zu retten und zu beweisen, dass der Animalische Magnetismus existierte, übernahm Mesmer einen besonders schweren Fall: Die 18-jährige Pianistin Maria Theresa Paradis, die in frühester Kindheit erblindet war. Verschiedene renommierte Ärzte Wiens hatten bereits mit Blutegeln und Stromschlägen versucht, ihr das Augenlicht wiederzugeben – jedoch ohne Erfolg. Im Jahr 1777 wurde sie Mesmers Patientin. Er behauptete später, ihre Sehfähigkeit teilweise wiederhergestellt zu haben und berichtete, sie sei „bei dem Anblick eines menschlichen Gesichts erschrocken“ und in der Lage dazu, die Mimik kleiner gemalter Figuren nachzuahmen.

    Aber Mesmer sah er sich einer Reihe von Problemen gegenüber: Ein bekannter Arzt nannte ihn einen Scharlatan. Marias Vater befürchtete, das Publikum könne das Interesse an seiner Tochter verlieren, wenn diese nicht mehr blind war. Maria selbst hatte keine Lust mehr auf die ständigen Untersuchungen. Trotzdem führte Mesmer die Behandlung fort und lud Zuschauer dazu ein, damit diese die bevorstehende Heilung der Maria Theresa Paradis bezeugen konnten. Als Maria jedoch zu ihrer Familie zurückkehrte, meldete diese, dass die junge Frau noch immer nicht sehen könne. So scheiterte auch dieser Versuch Mesmers, seiner Methode Glaubwürdigkeit zu verleihen.

    Hypnose in Paris

    Da man in Wien nur noch Spott für ihn übrig hatte, verließ Franz Anton Mesmer im Januar 1778 die Stadt und zog nach Paris. An der Seine war die Bereitschaft, Mesmers neuartigem Behandlungsansatz eine Chance zu geben, um einiges größer. Der charismatische Mediziner eröffnete eine Praxis im luxuriösen Hôtel de Bouillon und behandelte bald bis zu zwanzig Patienten am Tag. Um dem großen Interesse entgegenzukommen und niemanden abweisen zu müssen, entwickelte er das Baquet, das es ihm ermöglichte, seine Methode in einer Art Gruppentherapiesitzung auf mehrere Personen gleichzeitig anzuwenden.

    Hierzu sammelten sich die Patienten im Kreis um das magnetisierte Behältnis und hielten einander an den Händen, sodass der Animalische Magnetismus und damit die heilsamen Kräfte durch sie hindurchfließen konnten. Das gedämpfte Licht, die beruhigende Musik und Mesmers Bewegung durch den Raum hatten dabei eine hypnotisierende Wirkung – ein Phänomen, das im 18. Jahrhundert die Bezeichnung Mesmerismus erhielt.

    Das Baquet – ein von Mesmer entwickelte Behandlungsinstrument – war ein Behälter aus Holz, der mit magnetisiertem Wasser gefüllt wurde. Die Patienten verbanden sich über Seile mit dem Gerät und drückten die Metallstäbe gegen ihren Körper, um so Stockungen zu lösen.

    Photography by Alamy, ACI

    Mesmer hatte gehofft, dass die Begeisterung seiner Patienten die medizinischen und wissenschaftlichen Fakultäten von seiner Therapie überzeugen würden. Doch sowohl die Königliche Medizinische Gesellschaft als auch die Französische Akademie der Wissenschaften ignorierten seine Wunderheilmethode oder lehnte sie geradeheraus ab.

    Königliche Kommission

    Im Vorfeld der Französischen Revolution erhielt der Mesmerismus eine unerwartete politische Bedeutung. In einem offenen Angriff auf die Institutionen des Ancien Régime – der Regierungsform der Bourbonen – argumentierte Mesmer, dass Freiheit für ein glückliches Leben ebenso wichtig sei wie für die Gesundheit. Da körperlicher und sozialer Einklang miteinander in Verbindung stünden, sei es nötig, dass die Republik vom Volk und nicht von einem monarchischen oder feudalen System beherrscht werde.

    Im August 1784 beauftragte König Ludwig XVI., dessen Ehefrau Marie-Antoinette eine Patientin Mesmers war, eine Kommission damit, die Behandlungsmethode des Arztes zu untersuchen. Die neun Experten – darunter der amerikanische Erfinder und Staatsmann Benjamin Franklin sowie der Astronom Jean Baily, der Chemiker Antoine Lavoisier und der Mediziner Joseph Guillotin – sollten die generelle Anwendung des Animalischen Magnetismus, nicht aber einzelne Behandler prüfen. Aus diesem Grund war es nicht Franz Anton Mesmer selbst, sondern sein Schüler Dr. Charles d’Eslon, der die Methode vor der Kommission demonstrierte.

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    Die Mitglieder nahmen Proben des Inhalts des Baquets, wohnten Gruppentherapiesitzungen bei und ließen sich selbst behandeln. Ihr abschließendes Urteil war, dass Mesmers Theorie des Animalischen Magnetismus „jeder Grundlage entbehrte“ und es außerdem unmöglich sei, die Existenz einer Flüssigkeit zu beweisen, die weder Farbe, Geruch noch Geschmack habe. Als der Bericht der Kommission veröffentlicht wurde, verlor Mesmer so gut wie jeden Rückhalt in der Öffentlichkeit und wurde in satirischen Zeichnungen verhöhnt. Er verließ Paris und geriet zunehmend in Vergessenheit. Er starb im Jahr 1815 in Meersburg in Baden-Württemberg.

    Sanfte Heilmethode

    Hauptziel der Königlichen Kommission war es, herauszufinden, ob die Universalflüssigkeit, die Mesmer entdeckt zu haben glaubte, tatsächlich existierte. Ob seine Therapie in der Lage dazu war, die Symptome seiner Patienten zu mildern oder zu heilen, war für die Untersuchung nicht relevant. Trotzdem erwähnten die Prüfer in ihrem Bericht, dass Suggestiv- und Vorstellungskraft durchaus einen therapeutischen Nutzen haben könnten. Benjamin Franklin stimmte Dr. Charles d’Eslons Aussage zu, der sagte: „Auch wenn das einzige Geheimnis von Mesmers Therapie ist, dass er die Vorstellungskraft des Patienten dazu bewegt, sich selbst zu heilen, ist dies doch bereits ein wunderbarer Nutzen.“ Beeindruckt von den Reaktionen der Patienten während der Gruppentherapiesitzung schrieb die Kommission: „Alle unterwerfen sich dem Leiter. Seine Stimme, sein Blick oder ein Signal von ihm, reißt sie aus ihrem Schlaf. Man kann nur schwer die Anwesenheit einer höheren Macht leugnen, die die Patienten bewegt und kontrolliert und die dem Leiter innewohnt.“

    Franz Anton Mesmers Idee ist so mystisch und komplex wie er selbst es war. In einer Zeit, in der die medizinischen Behandlungsmethoden oft brutal und manchmal gefährlicher als die zu behandelnde Krankheit selbst waren, bot er seinen Patienten eine sanfte, ruhige Form der Therapie. Er hatte verstanden, dass das Heraufbeschwören eines suggestiven Geisteszustands sowohl psychosomatische als auch tatsächliche Schmerzen und Beschwerden lindern konnte. Insofern kann man seinen Ansatz als Basis der modernen Hypnosetherapie interpretieren.

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache aufNationalGeographic.comveröffentlicht.

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